Suicide Room (2011)

Dass Polen eine Vielzahl an grossartigen Regisseuren hervorgebracht hat, ist eigentlich kein großes Geheimnis. Polanski, Kieslowski und Wajda zählen zu den ganz Großen des europäischen Films, doch „hipp“ und „cool“ waren auch diese wohl zuletzt vor ungefähr einem halben Jahrhundert. Genau das will „Suicide Room“ [Orig: „Sala Samobójców“] aus dem Jahr 2011 wohl aber sein, denn bereits das Cover dieses Films ist wohl das geilste seit den 90ern. Kommt denn gar der erste richtig gute „Hipster“-Film nicht aus London, N.Y., Paris, oder Berlin, sondern aus Polen?

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Inhalt:

Dominik, ein Schüler eines Elitegymnasiums aus wohlhabenden Haus, wird bei einer Party von seinen Freunden angestiftet aus Spaß und als quasi-Mutprobe einen seiner (männlichen) Freunde zu küssen. Die Aktion wird mit dem Handy mitgefilmt und schließlich in ein soziales Netzwerk hochgeladen. Zunächst kommt das im Netz auch noch ganz gut an, verkehrt sich aber wegen eines weiteren Fauxpas schon bald ins Gegenteil. Dominik wird in der Schule zur „persona non grata“, sperrt sich zuhause in seinem Zimmer ein und sucht sein Heil im Internet. Die Eltern sind wiederum heillos überfordert, fordern von ihrem Jungen, dass dieser gefälligst zu funktionieren habe. Das Ganze nimmt nach Wochen der Isolation immer unheilvollere Züge an.

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Bewertung/Meinung:

Wie so oft kann der Film das Versprechen des Covers (oder auch des Posters) nicht einhalten, wenngleich „Suicide Room“ auch kein „Blender“ ist, dessen einzige Qualität ausschließlich die grafische Gestaltung der Hülle wäre. Hinter dem vermeintlichen Teenie-Hipster-Film verbirgt sich nämlich durchaus eine v.a. auch gesellschaftskritische „message“. Diese kritische Stellungnahme bezieht sich jedoch leider nicht auf die „Homophobie“-Welle die Europa (insbesondere auch Polen) gerade in den letzten Jahren überrollt, sondern das doch recht ausgelutschte Thema bzgl. der Gefahren des Internets.

Diese Chance, die eigene polnische Gesellschaft gerade auch diesbezüglich zu kritisieren hat der polnische Regisseur Jan Komasa leider relativ ungenützt links liegen gelassen. Diese Ereignisse dienten der Story lediglich als MacGuffin, als Auslöser für die weitere Handlung ohne selbst dabei wirklich bedeutend zu sein. Die Hauptperson spielt zwar mit seiner Homo- (bzw. Bi-) sexualität, schockiert damit auch bewusst die Gesellschaft seines Vaters, was davon zeugt, dass der Protagonist insgeheim über die Tabuisierung und Ablehnung von Homosexuellen reflektiert, dabei bleibt es dann aber eigentlich auch schon. Selbst der Rückzug von Dominik, seine Weigerung nicht mehr zur Schule zu gehen, wird nicht ausreichend geschildert, sodass man sich zwar vorstellen kann, wie es ihm in der Situation geht, aber die wirklichen Auslöser für sein Verhalten erfährt man eigentlich nur ungenügend. Auch hier wäre automatisch „Homophobie“ zum Thema geworden. Der Regisseur lässt sich also nicht nur eine Möglichkeit entgehen, dem Film eine weitere wichtige zusätzliche Komponente zu geben, sondern schwächt seinen Film und damit sein anvisiertes Thema sogar durch dieses Weglassen noch zusätzlich, da der Rückzug in die Isolation zu wenig (bildlich) nachvollziehbar untermauert wird.

Im Zentrum steht also vielmehr die Abhängigkeit des heutigen Jugendlichen vom Internet und deren mögliche schlechten Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Das Thema ist zweifellos schon etwas abgedroschen, doch man muss dem Regisseur zu Gute halten, dass eigentlich kein Film bis heute dieses Thema wirklich gut umgesetzt hat. So gesehen ist schon der Versuch, dies zu tun und zu probieren, lobenswert, wenngleich auch dieser Film gerade bei der Visualisierung des Internets grob scheitert. Während die Kommunikation auf den Webseiten, die an Facebook bzw. YouTube angelehnt sind, noch ziemlich gut gelang, so sind spätestens jene Passagen in denen die Hauptrolle in den Körper eines virtuellen Avatars schlüpft, zumindest an der Grenze zur Peinlichkeit. Dieses Problem, eine, im Grunde für das Medium Film wenig interessante Situation vor dem Computer, visuell attraktiv zu gestalten, hatten schon so viele Filme auf sehr ähnliche Weise gelöst (Ben X, Lownmower Man, Hackers, War Games, Tron, Lisa – Der helle Wahnsinn, usw.) und sie sind allesamt genau auch daran eigentlich gescheitert. (Wobei zumindest „Tron (1982)“ aus heutiger Sicht einen sympathisch naiven Charme hat). Diese Szenen, die wohl auch eine Referenz an „Second Life“ sein sollen, sind jetzt zwar keine Katastrophe, sehen zum Teil auch ganz okay aus, aber sie sind noch immer nicht der große Wurf. Dieses Problem, das der heutige Film noch lösen muss, besteht also weiterhin. „Suicide Room“ wirkt durch diese Einschübe einfach uneinheitlich und auch emotional sind diese doch recht kantigen, zur Mimik und Gestik kaum fähigen Gestalten kein wirklicher Gewinn.

Die große Stärke des Films sind dann auch die wirklichen, die menschlichen Darsteller des Films und da vor allen anderen der junge Hauptdarsteller Jakub Gierszal. Nicht nur, dass der eigentlich blonde Schauspieler mit seiner schwarzen Emo-Indie-Frisur verdammt cool aussieht (was Mädels und wohl auch ein paar Jungs Herzklopfen bereiten wird und was einem jungen Schauspieler in seiner Karriere wohl nur selten geschadet hat), er spielt diesen jungen Burschen, in seiner Orientierungslosigkeit und in der für dieses Alter typischen und vielfältigen Ambivalenz überaus überzeugend. Man nimmt ihm die leichte Schüchternheit, die Einfühlsamkeit, aber auch die (für das Alter durchaus auch übliche) Drama-Queen, das Überhebliche, das Verzogene und das zuweilen auch Kindliche seines Charakters durchwegs ab, wobei die Figur wohl auch viel dem Drehbuch zu verdanken hat. Lediglich seine Heulanfälle sind ein Problem, da sie zuweilen auch zunächst als ein Lachen interpretiert werden können, aber auch das gibt es wohl in dieser Art und Weise. Ihm zur Seite gestellt ist die Königin des Suizid-Raums, die mit ihrem rosa Haar ebenso attraktiv ist, sodass auch die (Hetero-)Jungs was zum Schauen haben, allerdings gibt ihre Rolle unvergleichlich weniger her, was auch zur Folge hat, dass die Beziehung zwischen den beiden für den Betrachter zu wenig stark betont wird. Ihre Schlußszene, die in der Realität wohl auch so aussehen könnte, verliert daher an Glaubwürdigkeit, was jedoch nicht ihr Fehler, sondern der des Drehbuchs ist. Weniger sympathisch, aber dafür auch anspruchsvoller sind hingegen die Rollen der Eltern, die ebenso gut besetzt wurden. Diese Figuren sind es dann auch die (gemeinsam mit dem Hauptdarsteller) den Film auch inhaltlich retten, denn während die fehlende Darstellung von Dominiks‘ Freundeskreis und auch seine zu wenig betonte Schmach eine große inhaltliche Lücke aufweisen, seine emotionale Hinwendung zur „Internet-Familie“ ebenso aus dem Film heraus nur kaum nachvollziehbar ist, so ist mithilfe der Figuren der Eltern wenigstens die Gesellschaftskritik gelungen. Ihre Unfähigkeit mit dem Sohn zu kommunizieren, sich in seine Welt einfühlen zu können, ihre Karrieregeilheit und eigene Vorstellung, dass man doch gefälligst wie ein Roboter zu funktionieren hat, machen dann den Film letztlich doch (halbwegs) sehenswert, trotz all der Schwächen die der Film (auch) hat.

7-star (7/10; okay/gut)

um die Eingangs gestellte Frage zu beantworten: Der Hauptcharakter ist kein Hipster, sondern vielmehr eine Mischung aus Indie und Emo (bzw. könnte sowohl das eine, als auch das andere sein), was irgendwie auch der Soundtrack widerspiegelt: Neben einigen polnischen Bands sind auch je ein Song von Billy Talent und Stereo Total enthalten. Tatsächlich ist das aber auch egal. Die Zielgruppe des Films sind Jugendliche, die sich unverstanden fühlen, seien es nun Emos, Indies, Leute mit Borderline, Goths oder was auch immer – und bei diesen wird der Film vermutlich (ziemlich sicher) auch noch besser ankommen. Bei diesen hat der Film durchaus die Chance als Kultfilm angesehen zu werden. Um gesellschaftlich etwas zu bewegen, müssten ihn sich aber vielmehr besser eigentlich Eltern ansehen.

Trailer (Sprache: polnisch; Untertitel: deutsch):

gesamte Film (Sprache: polnisch; Untertitel: englisch):

https://www.youtube.com/watch?v=Xc9QsmJ7bwQ

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