The Servant – Der Diener (1963)

Lange blieb es still auf „flimmerspiegel“. Das Schreiben von Rezensionen erwies sich weit zeitintensiver als erwartet und das Ergebnis war letztlich für den Autor dann doch wenig erfüllend, denn die Prämisse, „über jeden Film zu schreiben, solange das Schreiben darüber Spass macht“, führte selbstverständlich auch dazu dass nur wenige (bis eigentlich gar keine) Filme vorgestellt wurden zu denen der Autor auch uneingeschränkt steht.

Diese Seite wieder aufleben zu lassen hat also einen ganz bestimmten Grund: Die Entdeckung eines weitgehend unbekannten Filmklassikers, der es auf Anhieb in die Top100 der Lieblingsfilme des Autors dieses Blogs schaffte, was in den letzten 5 Jahren wohl vielleicht nur ein einziges weiteres Mal passiert ist.

„The Servant“ ist eine Perle, ein Film, der einen auf eine unerwartete Reise mitnimmt, der inhaltlich klug gemacht ist, eine tiefere und höchst interessante Bedeutungsebene beinhaltet, aber auch wunderschön fotografiert und toll gespielt ist. Kurz: Ein Film, der tatsächlich mit nichts Anderem als dem Prädikat „Kunst“ bezeichnet werden kann.

Der heutige/zeitgenössische Film geizt v.a. an einem essentiellen Punkt, der für ein aussergewöhnliches Filmerlebnis von Bedeutung ist und dass auch dazu führen könnte, dass ein Film auch eine Bereicherung fürs Leben sein kann. Es ist die Überraschung. Zu viel Geld wird in heutige Produktionen gesteckt, als dass sich Hollywood noch irgendein Risiko leisten könnte. Doch der Preis, der aufgrund dessen zu bezahlen ist, ist hoch: Es mangelt den Filmen an Innovation und progressivem Geist. Das Publikum, dass nur nach kurzweiliger Unterhaltung giert und auch nur kaum wirklich intellektuell tangiert werden will, dass sich oftmals leider auch als „Gewohnheitstier“ präsentiert, spielt diesem (eigentlich höchst kapitalistischen, weil gewinnmaximierenden) System natürlich in die Hände. Doch „The Servant“ lebt von der Überraschung, von dem, dass man nicht weiss was auf einen zukommt, was als nächstes passiert. Es ist ein Film, der einen auf eine Reise mitnimmt, eine Reise, die recht harmlos beginnt, deren Ziel und Ende jedoch ungewiss ist. Er fesselt nicht zuletzt gerade auch aus diesem Grund – und daher möchte der Autor dieser Zeilen dieses Mal auf eine etwas andere Art und Weise an die Vorstellung eines Films herangehen – und zwar mittels einer „Checkliste“. Diese soll bzgl. der Entscheidung, ob man den Film sehen soll oder nicht, helfen, dabei aber noch nichts (oder möglichst wenig) über die Handlung verraten. So ist gesichert, dass der Betrachter (so weit möglich) unvorbereitet diese aufregende Reise antreten kann, wenn er denn will.

Checkpoint #1: „The Servant“ stammt vom Regisseur Joseph Losey, ein Mann, dessen Leben überaus bewegt und interessant war und dieses sich wohl auch in keinem seiner Filme so sehr widerspiegelt wie in diesem. Losey war Amerikaner. Er studierte Philosophie, arbeitete mit Bertolt Brecht gemeinsam am Theater, besuchte einen Regiekurs von Sergej Eisenstein in Moskau und er war in einem damals wenig toleranten Amerika (für ein Jahr) Mitglied der kommunistischen Partei. Dass ein Mann wie er vor dem „Ausschuß für unamerikanische Triebe“ aussagen musste, überrascht also ebenso wenig, wie, dass er in den USA jener Zeit mit einem Arbeitsverbot belegt wurde. Losey ging ins Exil und genau in jener Zeit entstand „The Servant“. Der Diener ist zweifellos ein politischer Film, ein höchst linksgerichteter Film. Es geht auf einer dahinter liegenden Ebene um Klassenunterschiede, um Machtverhältnisse, um die Revolution, um die gesellschaftlichen Umbrüche der 60er-Jahre, die schon viel früher als im berühmtberüchtigten 68er-Jahr einsetzten. Dieser höchst politische Background ist unbestreitbar ein wichtiger Teil des Films. Wer sich also dem linken politischen Spektrum zugehörig fühlt, hat von diesem Film wohl weit mehr, was aber nicht heisst, dass man nicht auch als unpolitischer Mensch seinen Spaß daran haben könnte. Auch ein Buch von Bertolt Brecht ist schließlich nicht nur auf dieser Ebene interessant. Tatsächlich habe ich den Film mit einer Person gemeinsam gesehen, die sich wohl als unpolitisch bezeichnen würde und diese hatte ebenfalls immensen Spaß daran und war von diesem Film ebenso gefesselt – aber wie geschrieben: wer politisch links ist, hat wohl noch mehr hiervon.

Checkpoint #2: Joseph Losey kommt vom Theater und das ist an diesem Film zu weiten Strecken auch kaum zu übersehen. Der Ort der Handlung ist im wesentlichen eine einzige Wohnung. Die handelnden Akteure kann man getrost auf eine Anzahl von 4-5 Personen reduzieren. Es ist ein Film, der zweifellos kammerspielartige Elemente aufweist. Wer also auf Filme wie „Sleuth – Mord mit kleinen Fehlern“ (1972) (Michael Caine, Laurence Olivier), „Sleuth – 1 Mord für 2“ (2007) (Michael Caine, Jude Law), „Venus im Pelz“ (R: Polanski) oder (nur um ein weiteres Beispiel zu nennen) „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ (1966) (R: Mike Nichols) steht, findet hiermit einen weiteren potentiellen Lieblingsfilm. Und… auch wenn der Film etwas „theaterhaftes“ hat, allein die grandiosen Kamerausschnitte, die Detailaufnahmen usw. zeigen, dass das Werk gerade auch als Film Sinn macht.

Checkpoint #3: Wer von einem Film eine traditionelle Handlung erwartet, sprich: eine „story“ im Sinne eines Abenteuers, wird hier enttäuscht werden. Es geht weniger darum, wohin sich etwas entwickelt, als vielmehr darum wie sich die Menschen im Laufe des Films entwickeln. Im Zentrum steht also weniger eine Geschichte als vielmehr die Charaktere. Ein Interesse am Menschen, an seinen Ambitionen, seiner Psychologie ist wohl eine wesentliche Voraussetzung um diesen Film mögen zu können. Es ist – man könnte sagen – ein typischer Schauspielerfilm. Er lebt von den Darstellern mindestens ebenso sehr wie vom Drehbuch und der Regie, aber gerade auch in diesem Punkt weiss der Film zu überzeugen. Dirk Bogarde (ein heute nicht mehr allzu bekannter, dennoch aber zu jener Zeit bedeutender Akteur im Filmgeschäft. Für alle, die ihn nicht kennen: Das weiche „d“ sowie das abschließende „e“ seines Nachnamens deutet es bereits an, dass keinerlei Verwandtschaft mit Humphrey Bogart besteht) spielt herausragend und schlicht genial, aber auch die anderen leisten großartige Arbeit (Lediglich die „Schwester“ ist vielleicht ein wenig nervtötend, aber in der Nachbetrachtung passt auch diese sehr gut in ihre Rolle). Wenn ich zuvor geschrieben habe, dass die Charaktere im Zentrum stehen, so war das eigentlich ein wenig ungenau, denn tatsächlich geht der Film auch noch einen Schritt weiter. Letztlich steht nämlich nicht das Individuum als abgeschlossene Entität im Mittelpunkt, wenngleich diese Voraussetzung ist, sondern vielmehr das Dazwischen. Es geht um Machtverhältnisse zwischen Individuen, also eigentlich mehr um die Soziologie, den sozialen/zwischenmenschlichen Aspekt.

Checkpoint #4: Es handelt sich um einen Schwarz-Weiss-Film (wenngleich der Film zu einer Zeit entstand als es längst den Farbfilm gab). Wer so ein Merkmal als Ausschlusskriterium ansieht, wird sich zwar wohl ohnehin kaum auf meine Seite verirrt haben, aber… naja…

Checkpoint #5: Weiter oben führte ich die beiden „Sleuth“-Filme als Vergleichsbeispiele an. Tatsächlich sind diese, wenn auch auf höchst einzigartige Weise, im weitesten Sinne Krimis – oder zumindest Filme in denen der „kriminelle Akt“ eine wesentliche Rolle spielt. Bei „The Servant“ kommt dieser Aspekt nicht vor. Der Vergleich passt vielmehr bezüglich des Verhältnisses zwischen den Protagonisten. Die feine Mischung aus Freundschaft und subtilem Psychoterror den sich die Charaktere gegenseitig aussetzen, findet man hier ebenso wie in den oben genannten Filmen. Was die Spannung angeht, so ist jedoch der Vergleich mit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ wiederum viel treffender. Da wie dort sieht man alltägliche Personen in aussergewöhnlichen Situationen und in beiden Filmen wird eine Spannung erzeugt die sich aus einem Unwohlsein, einer Disharmonie ableitet. Wer also einen angenehmen Film sehen will, der sollte die Finger hiervon lassen. (Hier sollte aber auch nicht geglaubt werden, dass er explizit unangenehm wäre, wie z.B. „Funny Games“ von Haneke, aber tendenziell, wenn auch harmloser, geht es schon eher in diese Richtung. Was die Atmosphäre, diese Spannungsgeladenheit anbelangt). Schließlich, auf inhaltlicher Ebene, was die Umkehrung des Verhältnisses von Herr und Diener, also das Thema Herrschaft und Knechtschaft anbelangt, gibt es durchaus Ähnlichkeiten mit „Venus im Pelz“, einem neueren, ebenfalls kammerspielhaften Film von Roman Polanski.

Hiermit schließe ich meine etwas andere als sonst übliche Rezension ab und hoffe dem interessierten Leser neugierig gemacht zu haben – auf einen Film, der wie der Autor dieses Blogs meint, jedem Klassiker – sei es ein Film von Hitchcock oder anderen Größen des Films – das Wasser reichen kann. „The Servant“ ist schlicht eine Perle, ein Bertolt Brecht des Films und unverdientermaßen ein vergessener Klassiker der Filmkunst und abgesehen von den oben genannten Aspekten auch hinsichtlich anderer höchst diskussionswürdig und für die Filmtheorie überaus interessant:

z.B. hinsichtlich der Verwendung von Spiegeln, der Kameraausschnitte, der Sexualität und der subtilen Homoerotik, usw. usf. Doch darüber ließe sich wohl ein Buch schreiben und dies wäre innerhalb dieses Blogs nicht mehr zu lösen.

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10-star (10/10 Sterne; Klassiker der Filmkunst)

Regie: Joseph Losey; Drehbuch: Harold Pinter; Buch: Robin Maugham; Darsteller: Dirk Bogarde, u.a.

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