Entfernte Stimmen – Stilleben (1988) [Kurzreview]

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[Ausschnitt aus dem Film „Distant Voices – Still Lives“, kein nachgestelltes Werbe/Promotion-Foto!]

Der Film „Distant Voices – Still Lives“ zählt in Grossbritanien als Meisterwerk und als Kultfilm (z.B. hat ihn das „Time Out Magazine“ zum „drittgrössten“ britischen Film gewählt), dennoch ist diese hohe Einschätzung wohl v.a. auch ein lokales Phänomen.

Inhalt: Der Film gewährt einen Einblick in das Leben einer Liverpooler Arbeitsfamilie während und nach des 2. Weltkrieges. Eines der Hauptthemen ist Gewalt in der Familie und der Umgang der Menschen jener Zeit damit.

Kritik: Einiges an diesem Film ist auch wirklich gut. Pete Posletheaite spielt auch hier – wie immer – grossartig, wenngleich ich die Performance der Mutter (Freda Dowie) für die sogar noch bessere halte. Auch ist die Atmosphäre des Films herausragend: Nicht nur die Kulissen spiegeln einwandfrei die Zeit wider, sondern auch die Art und Weise, wie der Regisseur die Bilder einfing, trägt gehörig dazu bei, dass man meint einen Film aus jener Zeit, den 40ern und 50ern, zu sehen. Er bediente sich, was gerade in der 2ten Hälfte des Films besonders augenscheinlich wird, eines Nostalgia-Filters. Der Weichzeichner und die Farbgebung, die manches Mal gar so wirkt, als wäre der Film nachcoloriert, erzeugen einen nostalgischen/melancholischen Flair, dessen Ästhetik aber wohl jedoch auch nicht jedem gefällt. (Natürlich ist das auch ein wenig verklärend und kitschig). In Zusammenklang mit den vom Regisseur gewählten Bildausschnitten hat man jedoch oft den Eindruck als würde man (bewegte) „echte Fotos“ aus jener Zeit betrachten.

Dennoch weiss der Film nicht gänzlich zu überzeugen. Der Film ist sehr collagenhaft zusammengesetzt (es werden Episoden aus dem Leben der Familie aneinandergereiht), was an und für sich noch kein Problem wäre, was aber dazu führt, dass dieser eigentlich keinen herkömmlichen „plot“ hat. Nichtsdestotrotz gibt es aber natürlich unzählige Filme, die dies auch gar nicht benötigen, da sie z.B. ihr Hauptaugenmerk auf die Betrachtung der Charaktere verlegen. Diese sind jedoch bei „Distant Voices – Still Lives“ vielmehr nur Oberflächen. Man bekommt keinen wirklichen Einblick was in der Psyche jener Menschen vorgeht. Aus diesem Grund bleibt der Betrachter aber auch stets nur ein distanzierter Beobachter, dem keine intimen Einblicke gewährt werden. Es passt vielleicht in jene Zeit, dass die Menschen alles „in sich hineinfressen“, nur wenig davon nach aussen tragen, aber als Zuseher lässt einem dann aus diesem Grund auch einiges viel mehr kalt. Es bleibt hier alles ein wenig oberflächlich. Ebenso wird die Thematik des häuslichen Missbrauchs lediglich oft so gezeigt, wie es zu jener Zeit Nachbarn vielleicht durch eine leicht geöffnete Tür erhaschen konnten. Diese Szenen zählen zwar zu den intensivsten des Films, aber eigentlich schaut die Kamera dabei weg. Heutige Filme würden die tatsächliche Brutalität viel expliziter darstellen, vor allem dann, wenn – wie hier – an einer Analyse der Umstände, warum dergleichen passieren könnte, kein Interesse besteht. Die Aspekte, warum Menschen derartige Aggressionen erzeugen, werden hier gänzlich ausgeblendet. Der Film ist also nicht daran interessiert aufzudecken, sondern lediglich daran es zu zeigen (und selbst das nur bedingt, denn tatsächlich ging und geht es viel brutaler als hier gezeigt zu). Darüberhinaus wird in diesem Film, der ohnehin schon ein wenig kürzer als herkömmliche Kinofilme ist, auch noch ca. 50% der Zeit gesungen. Wäre der Einsatz der Musik nicht gänzlich anders (es wird hier v.a. bei geselligen Abenden in der Gruppe gemeinsam gesungen), müsste man eigentlich von einem Musical sprechen. Ist jemand allein zu sehen, fängt er an zu singen, findet sich eine Gruppe von Menschen zusammen, dann erst recht. Es mag sein, dass zu jener Zeit in England viel gesungen wurde, für den Betrachter erzeugen diese Szenen im Laufe des Films jedoch unzählige Längen, die nicht nur zu nerven beginnen, sondern die man auch besser hätte nutzen können, selbst dann, wenn diese Lieder (Schlager, Volkslieder, Jazz- und Musicallieder) bei Betrachtern, die zu jener Zeit gelebt haben, bestimmt nostalgische Gefühle hervorrufen.

Fazit: „Distant Voices – Still Lives“ ist ein schön, jedoch auch sehr nostalgisch fotografierter Film, mit guten Schauspielern und einer ausgezeichneten Atmosphäre, der letztlich aber wegen des Fehlens einer Handlung oder einem tieferen Einblick in die Psyche der Menschen nicht so berührt, wie es aufgrund der Thematik der „häuslichen Gewalt“ vielleicht notwendig wäre. Es ist ein Film, der denselben Blick teilt, wie ihn auch die Menschen damals hatten. Jeder wusste von der häuslichen Gewalt, nebenan und im eigenen Hause, darüber gesprochen oder gar der Versuch unternommen diese missliche Lage zu analysieren wird jedoch nicht.

Wer Brite ist, zu jener Zeit gelebt hat und auch noch all diese Lieder kennt, wird an dieser Zeitreise bestimmt sein Vergnügen haben, für alle anderen ist es ein guter (oder besser: „okayer“), aber auch nicht wirklich herausragender Film (abgesehen vielleicht von der Bildästhetik v.a. der zweiten Hälfte des Films).

6-star 6/10

(gut bzw. okay, keine Zeitverschwendung, kann man sich ansehen, aber man verpasst nichts, wenn man ihn nicht gesehen hat)

(verzeiht mir etwaige Rechtschreibfehler. Da ich meist wenig Zeit habe, schreibe ich die Texte zumeist recht schnell „runter“. Derartige Rezensionen zu schreiben ist ja auch nicht mein Beruf. Wäre dies der Fall würde ich selbstverständlich mehr Zeit investieren – bzw. mehr Zeit investieren können 😉

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