Die Regenschirme von Cherbourg (1964)

„Les parapluies de Cherbourg“ ist ein Fest der Farben und der Töne, ein so einzigartiges und einmaliges Erlebnis, dass selbst ausgewiesene Musical-Hasser hieran Spaß haben sollten.

Wenn in einem „Walt Disney“-Film nur die ersten Töne eines Songs angestimmt werden, würden viele bereits insgeheim gerne schreiend davonlaufen. Musicals sind für Viele verständlicher Weise kaum zu ertragen, denn die Songs sind zumeist eher mieses Herumgejodle und künstlerisch betrachtet oft bestenfalls niveaulos. Es muss für jemanden, der Musicals verabscheut, die reinste Horrorvorstellung sein, wenn er erfährt, dass in diesem Film nicht ein einziger Satz gesprochen und stattdessen wirklich alles gesungen wird. Dennoch ist aber gerade dies das entscheidende Element, warum gerade jene eben nicht zurückschrecken sollten. Der Film „Die Regenschirme von Cherbourg“ ist zwar hinsichtlich der Verwendung von Musik wohl sogar einer der radikalsten Vertreter, aber genau das führt auch dazu, dass man als Musical-Verweigerer wunderbar unterhalten wird. Hier wird selbst über das Wechseln von Zündkerzen in der Werkstatt gesungen, das Banalste und Alltäglichste wird in glockenhellen Tönen vorgetragen, sodass man zunächst am vermeintlich ungewollt Komischen enorm viel Spaß hat. Man kann sich über diesen Film herrlich lustig machen, denn es ist ja gerade diese Übertreibung, die einem sein negatives Urteil über Musicals bestätigt. Spätestens dann, wenn der Film sich aber auch noch selbst ebenfalls genau darüber lustig macht und auch zeigt, dass all das auch wohl und gut geplant ist, hat der Film, durch diesen gelungenen Twist, alle Sympathien letztlich für sich gewonnen. Ganz plötzlich befindet man sich dann auch schon bei der Mitte des Films, lehnt dieses Dahingesungene gar nicht mehr so ab, kann es sogar vielleicht als Zugewinn betrachten, bestaunt die wunderschönen Farben der Bilder und fiebert mit den Charakteren mit. Es ist nämlich v.a. auch diese Geschichte, die einen mehr und mehr in den Bann zieht.

Bildschirmfoto 2014-11-11 um 20.30.42 Bildschirmfoto 2014-11-11 um 20.33.12

Die siebzehnjährige Geneviéve lebt mit ihrer alleinstehenden Mutter in der französischen Stadt Cherbourg, wo sie in deren Geschäft Regenschirme verkauft und in Guy, einem jungen Mechaniker, verliebt ist. Das junge Paar schmiedet bereits Heiratspläne, was jedoch bei Genevièves Mutter, die um ihre Tochter liebevoll besorgt und sich der Vergänglichkeit solcher Jugendlieben bewusst ist, auf Ablehnung stößt. Bevor es jedoch auch nur annähernd dazu kommen könnte, wird Guy für 2 Jahre in den Algerienkrieg einberufen. Geneviéve wartet nun zuhause auf die nur selten eintreffenden Briefe ihres Liebhabers und verfällt ihrem Liebeskummer, darüber hinaus ist sie auch noch schwanger und der Laden der Mutter steht kurz vor dem bankrott. Sie trifft schließlich eine wichtige Entscheidung, die ihr ganzes zukünftiges Leben bestimmen wird.

Bildschirmfoto 2014-11-11 um 20.33.52 Bildschirmfoto 2014-11-11 um 20.43.17

Die große Stärke dieser Story entfaltet sich jedoch erst nach dieser längeren Einleitung, denn sie erzählt trotz des genretypischen Kitsches eine glaubwürdige, realistische und, wenn auch keine völlig überraschende, doch eine in dieser Weise nicht immer vorhersehbare Geschichte über die Liebe. Bei „Regenschirme von Cherbourg“ handelt es sich zweifellos um ein Drama, in gewisser Weise sogar um eine Tragödie, aber nicht in dem Sinne, dass hier irgendeine Katastrophe auf den Hauptcharakter wartet, sondern um eine Tragödie des wahren Lebens und um die der Liebe: Dass große Entfernungen, Trennungen über längere Zeiträume und bestimmte wesentliche Entscheidungen jede Liebe schließlich verblassen lassen und sei sie noch so echt. Auch sie kann von all dem vergraben werden, wie es der Schnee der Schlußszene bildlich darstellt.

Bildschirmfoto 2014-11-11 um 20.34.29 Bildschirmfoto 2014-11-11 um 20.33.33

Wie in den meisten Musicals wird dies alles mit großem Pathos vorgetragen, was sich z.B. daran zeigt, dass das junge Mädchen nach der Abreise ihres Liebhabers meint, sie müsse nun sterben. Eine Erdung erhält die Geschichte oftmals durch die Mutter, die z.B. mit ihrer Lebenserfahrung versucht ihrer Tochter zu helfen, wenn sie meint, dass dies doch nur im Kino stattfindet und sie schließlich darüber hinwegkommen wird. Trotz all dieses Pathoses verliert der Film aber nie den Kontakt zur Realität, vielmehr ist es auch genau dieses Spiel mit Gegensätzlichkeiten, wie z.B. zwischen Künstlichkeit und Realismus, was diesen Film auch so interessant macht. Die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, ist im höchsten Maß artifiziell, die Geschichte selbst jedoch nicht. Der Film nimmt sich enorm ernst, dann wieder auch überhaupt nicht. Er verbratet Klischees nur um sie dann gleich wieder durch das Einbrechen des Alltags zu brechen. Es wird innerhalb eines Gesprächs von etwas Traurigem gesprochen, aber gleichzeitig von einer beschwingten völlig unpassenden Jazzmusik untermalt. All das macht diesen Film auch so irrsinnig aufregend.

Während andere Musicals einige Songs beinhalten, wobei manche davon auch Hitpotenzial hatten, sind solche Lieder bei „Die Regenschirme von Cherbourg“ nur schwer auszumachen, was vor allem daran liegt, dass eben wirklich alles gesungen, aber auch nahezu völlig ohne Pausen der Musik vorgetragen wird.  Das Gehörte kann dann nur mehr selten, in ihren Strukturen, als Song aufgefasst werden. Ein Großteil der Musik im Film beruht außerdem auch noch auf dem Einsatz eines rezitativen Gesangs, der z.B. in der Oper des Barock häufig eingesetzt wurde und der nicht auf festgeschriebenen Kompositionen beruht, sondern den der Sänger mehr oder weniger frei im Rhythmus vortragen konnte. Dieser Gesang, der dem Sprechen angenähert ist, ist hier nun auch oftmals mit der Orchestrierung im Hintergrund nicht mehr im Einklang. Dies ist für viele heutige Zuhörer wohl recht schwer nachvollziehbar, hat aber durchaus auch seine Vorteile bezüglich der Ausdruckskraft des Inhalts des Gesungenen/Gesagten. Wenn man dann, wie ich, auch noch zusätzlich nicht des Französischen mächtig ist, die Sprachmelodie als völlig fremdartig empfindet, kann das sehr schnell dazu führen, dass man hiermit weniger anfangen kann als mit dem durchgedrehtesten Free-Jazz, aber nicht zuletzt übt gerade auch das einen irgendwie „exotischen“ Reiz aus. Viel leichter nachvollziehbar ist hingegen die Musik im Hintergrund, die oftmals auch in so banale Gefilde wie Fahrstuhljazz abdriftet. Schließlich ist selbst der einzig große Hit aus diesem Musical in seiner Struktur kein eigentlicher Song, sondern eigentlich nichts weiter als ein Motiv, eine simple Melodie die in leichten Variationen stets nur wiederholt wird. Diese Melodie wird schließlich so oft wiederholt, dass ein Hit daraus werden musste, eine Strategie, die wohl das französische Kino (im speziellen der französische Teenager-Liebesfilm) auch später noch anwenden wird, wie z.B. in „La Boum“.

Bildschirmfoto 2014-11-11 um 20.36.17 Bildschirmfoto 2014-11-11 um 20.41.49

Das Eindrucksvollste an diesem Film sind jedoch die Bilder und da im Speziellen die Gestaltung mit Farben. Der ganze Film erstrahlt in damals populären Farbtönen, sodass er wie ein Traum aus den 60’s rüberkommt. Ein Traum deshalb, weil natürlich auch die Welt der 60er-Jahre niemals, wie in diesem Film, so durchgestylt war. Das ist zwar weit weg von irgendeinem Realismus, aber einfach nur umwerfend schön. Nichts wurde hier, so meint man, dem Zufall überlassen: Die Tapeten leuchten z.B. in Farbkombinationen, die man für undenkbar hielt, aber gerade deshalb so unglaublich gut aussehen. Diese Wirkung der Farben zeigt sich aber keinesfalls auch allein nur an den Innenräumen. Jede Person hat nicht nur einfach aus Zufall diese stylischen Klamotten in diesen Farben an, sondern das macht auch inhaltlich Sinn. Wenn ein Auto im Hintergrund durch die Vitrinen sichtbar wird, so hat dieses die richtige Farbe, wenn Guy in einem Schanigarten sitzt, so ist es kein Zufall, dass er genau vor einem Wandstreifen sitzt, der dieselbe Farbe hat, wie die, mit welcher er im gesamten Film u.a. in Verbindung gebracht wird. Hier wurde einfach an alles gedacht und es sieht noch dazu einfach nur phänomenal aus.

Bildschirmfoto 2014-11-11 um 20.42.14 Bildschirmfoto 2014-11-11 um 20.42.32

(Dass dieser Film in dieser Farbenpracht auf uns gekommen ist, haben wir übrigens Agnes Varda zu verdanken. Varda, selbst eine überaus wichtige Regisseurin, war die Frau des Filmemachers Jacques Demy und sie war es, welche  die Restaurierung des Films initiierte. Ohne sie würde der Film heute, da Demy ihn auf einem Filmmaterial drehte, welcher die Farben nicht halten konnte, nur mehr in schwarz-weiß vorliegen.)

Der Film, der im Wesentlichen kammerspielartige Züge hat (das Meiste wird über Dialoge und nur weniges der Handlung über Bilder erzählt), lebt natürlich im besonderen Maße auch von den Schauspielern, die hier großartig besetzt wurden. Der Italiener Nino Castelnuovo spielt den jungen Liebhaber einfühlsam und in Kombination mit Catherine Deneuve ist das Liebespaar in der Tat ergreifend süß. Deneuve, die damals erst 21 war, gelang nicht umsonst genau mit dieser Darstellung der Durchbruch und auch Anne Vernon, in der Rolle der liebenden Mutter, weiß zu überzeugen. Einzig die Tante, dargestellt von Mireille Perrey, zerstört das einheitlich gute Bild, was jedoch viel mehr an ihrer unglaublich billigen und schlechten Maske liegt, die sie, weil sie als damals 60-jährige wohl noch immer viel zu jung aussah, tragen musste. Andererseits ist auch das wieder so trashig, zeigt auch das abermals diese Künstlichkeit, die dem Film eben auch innewohnt, und so gesehen hat selbst das einen unvergleichlichen Charme.

Jacques Demy, der im Laufe seiner leider sonst recht wenig beachteten Karriere, gleich unzählige Filmmusicals schuf, gelang mit „Die Regenschirme von Cherbourg“ ein phänomenaler Film, der mit 5 Oscarnominierungen und 3 Preisen in Cannes weltweit doch recht großes Aufsehen erregte, wenngleich er heute – so scheint es – v.a. im deutschsprachigen Raum fast vergessen wurde. Der Film ist ein einmaliges Erlebnis, vor allem aufgrund der Farben und des filmgeschichtswürdigen Endes. Björk bezieht sich in ihrem (wunderbaren) Musical „Dancer in the Dark“, in welchem ebenfalls Catherine Deneuve mitspielt, zweifellos auf diesen Film, wenn sie in der Erinnerung schwelgt und davon spricht, wie wunderbar doch die Musicals sind, in denen einfach nur so und ohne ersichtlichen Grund ständig gesungen wird. Der Einzige, der jedoch auch heute noch in der Lage wäre, ein Musical mit solch wunderbaren Kitsch und gleichzeitigem Tiefgang hervorzubringen, wäre Pedro Almodóvar und so ist zu hoffen, dass auch dieser sich mal an ein Musical heranwagt. „Die Regenschirme von Cherbourg“ ist jedenfalls ein großartiger Film, den man gesehen haben sollte!

9-star (9/10; mehr als empfehlenswert!)

(Wer den Film nicht mit Untertitel findet, kann diese z.B. bei OpenSubtitles, Subscene, banksubtitles, usw. herunterladen. Der Mediaplayer VLC erkennt diese automatisch, wenn sie im selben Ordner wie der Film liegen. Bei Problemen kann man sich aber auch gerne an mich wenden)

Die folgenden Absätze interpretieren Teile des Films, er beinhaltet jedoch auch Informationen, die eindeutig den Charakter eines Spoilers aufweisen, daher sollte man ihn erst nach dem Sehen des Films lesen! Dieser folgende Text beinhaltet z.B. bereits sogar das Ende des Films, welches man unbedingt ohne vorhergehende Informationen erleben und genießen sollte!

< SPOILERALARM! Diesen Abschnitt erst nach dem Sehen des Films lesen. Hier wird sogar das Ende verraten! >

Irgendwo im Netz fand ich folgende Aussage, die man als Quintessenz des Films betrachten könnte und da ich sie für ebenso durchaus richtig halte, möchte ich sie Euch nun an dieser Stelle nicht vorenthalten: „was gestern noch von großer Bedeutung war, ist heute vom Schnee zugedeckt“.

Diese Aussage nimmt offensichtlich auf die letzten Szenen im Film Bezug und kann von dort aus rückblickend die gesamte Geschichte auch gut erklären, doch denke ich, dass dies – wenn auch eine wichtige – noch nicht die gesamte oder einzige Aussage ist.

Jacques Demy, der Regisseur des Films, wird von manchen als früher Vertreter der „Nouvelle Vague“ angesehen, andere meinen, dass sich dieser selbst nie dieser Gruppe an Filmemachern (zu denen auch seine Frau gehörte) zugehörig fühlte. Jedenfalls warf man ihm auch vor, dass er weitgehend unpolitisch sei – ganz im Gegensatz zu (z.B.) Godard. Bei genauerer Betrachtung könnte man jedoch auch zu dem Schluss kommen, dass er hier dennoch in gewisser Weise politisch Stellung bezog. Er nannte zwar den Algerienkrieg, wie viele andere, nicht beim Namen, was man damals noch nicht durfte, er bezog auch nicht Stellung gegen dieses Bild der Eheschließung, aber es scheint mir doch so zu sein, dass er mit diesem Film Sympathie gegenüber der Arbeiterklasse zum Ausdruck bringt:

Geneviéve entstammt einem bürgerlichen Haus. Ihre Mutter verkauft in ihrem eigenen Laden Regenschirme, die man als Instrumente des Schutzes gegenüber den Regen interpretieren kann. Ebenso will sie, als Person, auch ihre Tochter vor der falschen Entscheidung beschützen und schlägt ihrer Tochter vor, den reichen Diamantenhändler zu heiraten, dessen soziale Stellung abermals Schutz für die schwangere Tochter verspricht. Dies kommt auch zum Ausdruck in der Passage in der die Tochter der Mutter vorwirft, dass sie diesen Mann anpreist wie einen Regenschirm (ein Instrument des Schutzes). Der Heiratsantrag erfolgt dann schließlich nicht irgendwo, sondern in einem Hafen, der nicht nur als Symbol für den Aufbruch stehen kann, sondern ebenso ein Ort des Schutzes ist. Boote flüchten sich bei Sturmwarnungen in den Hafen um dort sicher den Anker werfen zu können. Schließlich gibt es auch noch den „Hafen der Ehe“, eine Metapher, die im Deutschen geläufig ist, im Französischen vielleicht gar nicht existiert, aber dennoch ebenfalls (nicht nur, aber) auch auf diese Schutzfunktion hindeutet. Es ist schließlich dieses Schutzbedürfnis des Bürgertums, das sie in die Arme des reichen Mannes treibt.

Geneviéve ist jedoch eigentlich (zunächst) in Guy verliebt, ein Mann der Arbeiterklasse. Dies stört das junge Mädchen keinesfalls, was auch zum Ausdruck kommt, wenn sie sagt, dass er nach Benzin rieche. Die Bedeutung der Aussage (ich habe mir die Passage mehrmals angesehen) hat zu diesem Zeitpunkt jedoch eigentlich gar nichts Negatives, wie man annehmen müsste. Beim ersten Mal Sehen habe ich diesem Satz selbst diese Bedeutung ungerechtfertigter Weise untergeschoben und sie hinzugefügt. Sie sagt dies aber eigentlich ganz ohne Wertung, sie verwendet weder den Begriff „stinken“, noch gibt sie einen ablehnenden Laut wie z.B. „wäh!“ von sich. Es ist an dieser Stelle einfach nur eine simple Feststellung. Hier zeigt sich, dass sie, selbst dem Bürgertum abstammend, keinerlei Probleme damit hätte, wenn sie Guy heiraten würde. Guy antwortet, es sei lediglich ein Parfum wie jedes andere. In seinem Fall wäre es das Parfum des Mechanikers, des Arbeiters. Dass er hier das Wort „Parfum“ benutzt, ein (meist doch recht teurer) Luxusartikel, den ein herkömmlicher Arbeiter meist auch nicht unbedingt verwenden würde, verweist bereits auf den später auftauchenden reichen Mann hin, der in gewisser Weise das Gegenteil von ihm selbst ist und der bestimmt auch anders riecht.

Die nächste wichtige Passage für diese Interpretation ist die Hochzeit. Geneviéve ist während dieser zwar nicht traurig, aber sie ist auch gleichzeitig weit davon entfernt glücklich zu sein. Sie lächelt ihren Mann vor dem Altar nicht an, als er sie betrachtet, sondern schaut eher vor Scham auf die Seite. Nichts zeigt, dass sie Freude empfinden würde, auch nicht als sie aus der Kathedrale (keine normale Kirche!) heraustritt oder wenn sie im Auto sitzt.

Schließlich tankt Geneviéve, jetzt sichtlich wohlhabend, am Ende des Films bei Guys Tankstelle. Sie sagt, sie hätte ihre Tochter von ihrer Schwiegermutter in Anjou abgeholt und hätte beim Rückweg nach Paris nur diesen Umweg nach Cherbourg in Kauf genommen. Wenngleich das vermutlich fast nur Franzosen wissen können, ist dies dennoch eine wichtige Aussage. Anjou liegt 4,5 Stunden von Paris entfernt, Cherbourg 3,5 Stunden, doch liegen diese beiden Städte nicht auf einer Strecke, sondern von Paris aus gesehen in 2 völlig unterschiedlichen, ja sogar entgegengesetzten Richtungen. Die Fahrt nach Cherbourg war also kein Abstecher, sondern eine, v.a. wenn man bedenkt, dass sie von Cherbourg zurück nach Paris abermals 3,5 Stunden braucht, immens weite Reise. Es war kein Abstecher, in dem Sinn, dass man kurz mal wo anhält. Sie wollte also aus irgendeinem Grund wieder einmal ihr früheres Zuhause sehen, auch wenn dies eine Autofahrt von immerhin 7 Stunden zusätzliche(!) Fahrzeit bedeutet. Dies ist wohl ein eindringlicher Ausdruck der Sehnsucht, wonach genau auch immer… oder aber auch der Flucht! Jedenfalls ist es kein „Happy End“ für Geneviéve.

Die Konversation zwischen den ehemals Liebenden wird schließlich vom angestellten Tankwart unterbrochen. Er fragt Geneviéve, ob sie „Super“- oder „Normal“-Benzin („ordinaire“) wolle. Als Antwort gab sie, dass es ihr egal sei. Dies ist vergleichbar mit den Ehemännern, die ihr zur Wahl standen: Guy, der einfache, „normale“ Arbeiter und der Diamanthändler („Super“). Wie damals bekommt sie auch dieses mal „Super“ und abermals überließ sie die Entscheidung eigentlich letztlich jemand anderem.

Wenngleich wir nicht wissen können, ob Geneviéve glücklich ist, so machte sie auf jeden Fall nicht diesen Eindruck, ausserdem trieb sie irgendetwas von Zuhause weg, sodass sie auch diesen immensen Umweg machte. Guy, so zeigt sich jedenfalls in den Bildern ganz am Schluss, erst nachdem Geneviéve weggefahren ist, ist jedoch zweifellos glücklich. Er hat nicht nur seine gewünschte Tankstelle, wo er vermutlich gerne arbeitet, sondern v.a. ein glückliches Familienleben, wie durch die herzliche Verabschiedungsszene, v.a. aber durch das mit seinem Sohn abschließende Herumtollen im Schnee zum Ausdruck kommt. Er trauert nach dem Fortfahren seiner ehemaligen Freundin auch danach nicht, sondern fängt sofort mit seinem Kind freudvoll zu spielen an. Für ihn, der diese Entscheidungen, die zur Trennung führten, auch nicht traf, ist es letztlich doch noch ein „Happy End“ geworden, wenngleich er auch nicht finanziell reich ist.

So könnte man also annehmen, dass der Regisseur, wenn er auch keine klassenkämpferischen Töne anschlägt, doch eine Sympathie bezüglich des Arbeiters hegt, denn dieser hat auch ohne viel Geld das Glück erlangt, das aber Geneviéve, die dem Schutz und der Sicherheit den Vorzug gab, letztlich verwehrt blieb. Vielleicht versteckt sich also hinter all der Romantik und Melancholie ja doch auch eine („softe“) politische Aussage.

Empfehlungen & Hintergrundinfos:

Bei „Die Regenschirme von Cherbourg“ handelt es sich eigentlich um einen Film aus einer Trilogie. Wer also von diesem Regisseur und zu dieser Thematik mehr sehen will, kann sich auch noch die beiden anderen Teile ansehen:

Der erste Film trägt den Titel „Lola – Das Mädchen aus dem Hafen“ (1960). Dieser Film ist nicht nur thematisch mit den „Regenschirmen“ verbunden, sondern auch inhaltlich. Es ist die Liebesgeschichte des Diamantenhändlers, die er der Mutter im „Cherbourg“-Film auch ganz kurz erläutert. Es ist also gewissermaßen die Vorgeschichte zum Film, wenngleich man diesen nicht unbedingt gesehen haben muss. Ich kenne ihn zwar leider selbst noch nicht, aber vermutlich stammt auch die Szene des städtischen Innenhofs, der kurz eingeblendet wurde, von da her. Das ist v.a. auch deshalb anzunehmen, da diese kurz gezeigten, zu diesem Zeitpunkt irgendwie auch rätselhaften Bilder in schwarz-weiß waren, was auch auf den Film „Lola“ zutrifft. „Lola“ ist darüber hinaus der erste abendfüllende Spielfilm des Regisseurs überhaupt.

Der dritte Teil der Trilogie ist „Die Mädchen von Rochefort“ (1967). Auch dieser Film ist ein Musical und ein Farbfilm. Der Zusammenhang mit den anderen beiden besteht allerdings lediglich auf thematischer Ebene und auch darin dass ein paar Schauspieler auch hier mitwirken, allerdings in gänzlich anderen Rollen und mit anderen Namen.

Wer noch mehr gute Musicals sehen will, hier noch meine 2 Lieblingsmusicals, auch wenn sie vermutlich ohnehin schon jeder kennt:

„Rocky Horror Picture Show“ (1975) und „Dancer in the Dark“ (2000), das Musical von Björk in welchem ebenfalls Catherine Deneuve mitspielt.

Bonjour Tristesse (1958)

Der nach Amerika ausgewanderte Österreicher Otto Preminger gehört zweifellos zu den ganz großen Regisseuren der Filmgeschichte. Wie kaum ein anderer Filmemacher aus jener Zeit hat er sich Tabuthemen gewidmet und diverse gesellschaftliche und filmbranchenübliche Konventionen jener Zeit ganz bewusst umgangen und gebrochen. Zu den herausragendsten Werken aus seinem Oeuvre gehören „Der Mann mit dem goldenen Arm“ (1955), das Portrait eines Heroinsüchtigen, verkörpert von Frank Sinatra, ein Thema das damals eigentlich völlig undenkbar für die große Leinwand war, „Anatomie eines Mordes“ (1959), aber auch „Bonjour Tristesse“ (1958), welcher als Vorbild für die später aufkommende französische „Nouvelle Vague“ Anerkennung fand.

Ich wurde seltsamer Weise erst recht spät auf diesen Ausnahme-Regisseur aufmerksam und zwar hatte dies viel mehr mit meinem zweiten Hobby zu tun. Zeitlebens war ich an jugendlichen Subkulturen und da v.a. an Independent- und Underground-Musik interessiert. So war es wenig erstaunlich, dass ich früher oder später auch viele Menschen im Bekanntenkreis hatte, die selbst Musik mach(t)en. Eine dieser Bands aus meinem Bekanntenkreis hieß „Bunny Lake„, die andere hatte einen Song, welcher den Titel „Bonjour Tristesse“ trug. (einen Song, den ich damals richtig geil fand). Als ich dann bei meinen Recherchen auf Otto Premingers Filmografie stieß, war klar dass ich diese beiden Filme sehen musste. „Bunny Lake is missing“ (1965) zählt seither zum erweiterten Kreis meiner Lieblingsfilme, die Sichtung von „Bonjour Tristesse“ hatte ich allerdings bis zum heutigen Tage aufgeschoben. Je öfter ich aber das Filmcover sah, desto mehr steigerte sich meine Vorfreude auf diesen Film.

images-2 Unknown

Handlung:

Die 17-jährige frühreife Cecille lebt mit ihrem Vater Raymond ein ausschweifendes und glückliches Leben. Die beiden haben weniger ein familiäres als vielmehr ein freundschaftliches Verhältnis, das die Freiheit und Selbstverantwortung des jeweilig anderen respektiert. Als der Frauenheld Raymond jedoch einer äußerst bestimmenden und gutbürgerlichen Bekannten der Familie einen Heiratsantrag macht, wird der Tochter zunehmend klar, dass ihr bisheriges Leben mit ihr ein aprubtes Ende finden würde. Sie schmiedet eine Intrige gegen ihre Rivalin, was jedoch noch weitaus größere Konsequenzen hat.

Bewertung/Meinung:

Otto Premingers „Bonjour Tristesse“ war letztlich leider nicht der von mir erhoffte neuerlich progressive Film, den ich von ihm mittlerweile fast schon gewohnt war. Während die in schwarz-weiß präsentierte Rahmenhandlung noch viel verspricht, wobei die Qualität der fotografierten Bilder und dann auch vor allem die inneren Monologe mit der Stimme aus dem Off wegen des Clichés zu gefallen wissen, diese charmant und aus heutiger Sicht v.a. auch witzig sind, so ist die in Farbbildern präsentierte Haupthandlung doch recht konventionell.

Unknown-1 images

Zunächst genießt man noch die Unbeschwertheit der Urlaubsstimmung an der französischen Riviera (welche aber auch für den Film der 50er-Jahre zu typisch ist), doch nachdem die oberflächlichen Ferienromanzen auch bis zur Hälfte nicht an Schwung gewinnen, die Dialoge immer noch oberflächlicher werden, stellt sich langsam so etwas wie beginnende Abneigung gegenüber dem Film ein. Die Handlung ist schließlich für einen heutigen Zuseher viel zu vorhersehbar als dass hier auch nur irgendetwas überraschen könnte. Der Film ist kein Thriller, auch kein Krimi, sondern lediglich eine Familiengeschichte mit oberflächlichen Romanzen, woran sich auch bis zum Ende hin nichts ändert. Die Intrige ist die herkömmliche und bedient sich, wie schon tausendmal gesehen, der Eifersucht. Selbst das Ende konnte man schon 10 Minuten vorher genau abschätzen.

Jean Seberg (bekannt v.a. wegen ihrer Performance in Godards „à bout de souffle“ (dt. „Ausser Atem“) weiß jedoch auch in diesem Film in der Rolle der Tochter zu gefallen, ebenso wie David Niven („Der rosarote Panther“ 1963), der abermals gelungen, wie so oft, den älteren Charmeur spielt. Deborrah Kerr ist in ihrer Rolle als prüde, gutbürgerliche Stiefmutter in spé hingegen ziemlich austauschbar und Mylène Demengeot, das französische Sexsymbol der 50er- und 60er-Jahre, hat zwar tatsächlich auch heute noch ein gewisses Sexappeal (in einer Szene erinnert sie einen gar an die große Ikone Marilyn Monroe), ist jedoch mit ihrem gebrochenen Englisch und ihrem „Schauspiel“ bereits eine mittlere Katastrophe.

Was bleibt ist ein Film, dem die Zeit nicht nur anzumerken ist, sondern der von ihr auch überholt und abgehängt wurde. Leider – zumindest meiner Meinung nach – trotz des großen Einflusses auf die Filmgeschichte kein zeitloses Meisterwerk des ansonsten so großen Preminger. Das beste an diesem Film ist der umwerfend großartige Vorspann von Saul Bass.

5-star (5/10)

Trailer (englisch):